Die Indianer Südamerikas - Das brasilianische Bergland und seine Randgebiete


Neben den Tupi-Guarani-Völkern, welche im Osten von Brasilien seßhaft sind, leben im westlichen Bergland und in den zum tropischen Waldland hinführenden Gebieten die Sprachgruppe der Gês-Stämme. Sie stehen auf einer relativ niedrigen Stufe und sind von kulturell ähnlich beschaffenen Mitgliedern anderer Sprachgruppen umgeben. Die Gês-Stämme setzen sich aus drei Gruppen zusammen: Der Nordwestgruppe, die im wesentlichen aus den Timbirá (zu denen die Craho (Crao) und Apinayé gehören), den Cayapó und den Suyá zusammen; zu den bekannten Stämmen der Zentral-Gês gehören die Shavante (Chavante), die Sherente und die Acroa an und der Südgruppe, die von den Caingang gebildet wird, was eine Sammelbezeichnung für die Nicht-Tupi des Gebietes ist.

Im Gebiet der Gês gibt es zahlreiche Spuren uralter Besiedlung. So zum Beispiel wurde im Hochland von Minas Gerais der sogenannte Lagoa-Santa-Schädel zusammen mit tierischen Überresten aus dem Pleistozän gefunden, welcher ein beträchtliches Alter aufweist.

Auch die Gês-Stämme waren einst Jäger und Sammler gewesen. Ihnen fehlten die Kenntnisse der Herstellung von Hängematten, der Keramik und der Entgiftung des Manioks. Sie nahmen aber soweit sich dies mit ihrem Wanderleben vereinbaren konnte, den Pflanzenanbau der feindlichen Tupi-Stämme an.

Im Gebiet der Gês war das Klima trockener als am Amazonas, es gab im Jahr eine Trocken- und eine Regenzeit und drei Vegetationsformen hatten sich herausgebildet: den tropischen Regenwald, an dessen Flüssen sich ein Wald herausgebildet hatte, der jährlich Brandrodungen gestattete und Pflanzenanbau mit dem Grabstock zuließ; der sogenannte Caatingawald, was lichter Wald bedeutet und die Campos, welche grasbewachsene Steppen mit vereinzelten Baumgruppen sind. In der Trockenzeit sammeln die Gês-Völker Honig, Nüsse, Palmenfrüchte, Schildkröteneier Käferlarven. Für tierische Nahrung machten sie Jagd auf Ratten bis hin zum Puma, Jaguar, Echsen, Schlangen, Nandu und Kolibri. Als Waffen verwenden sie den geräuschlosen Pfeil und Bogen. Die Apinayé kennen auch wirkungsvolle Fallensysteme. Fische werden mit Pfeil und Bogen oder mit Fischgiften erbeutet. Der Pflanzenanbau wird während der Regenzeit betrieben. Angebaut wird der ungiftige und der bittere (muß entgiftet werden) Maniok, Mais und die medizinisch und magisch wichtige rote Farbpflanze Urucú. Letztere Pflanze wird mit Öl der Babassu-Palme angerührt und dient der Körperbemalung und Schutz der Haut. Nach der Erntezeit beginnt das Wanderleben erneut. Zwei zusammengestellte Windschirme dienen als Hütte. Sie tragen fast keine Bekleidung.

Die Initiationszeremonien - eine Art Reifeprüfung bei der Naturvölker zur Aufnahme der heranwachsenden Knaben in die Gemeinschaft - sind bei allen Stämmen vorhanden, aber mehr oder weniger stark ausgeprägt. Bei den Gês ist auch die Couvade, das Männerkindbett, das dem Neugeborenen und seiner Mutter magischen Schutz vor Schädigungen verleihen soll, üblich. Ebenso ist die Idee des Seelenverlustes verbreitet. Er wird verursacht, wenn Krankheit, Irrsinn oder Tod durch die im Schlafe wandernde abgeirrte und verlorengegangene oder durch böse Magier weggefangene Seele. Bei Todesfällen ist oft ein zweites Begräbnis üblich, bei dem die gesäuberten Knochen mit Urucú bemalt und neu bestattet werden.

Ankeraxt der Gês Bei Tänzen spielten Musikinstrumente eine große Rolle. Verwendet dafür wurden Flöten, Bambustrompeten und Pfeifen für Signale. Die Trommel fehlte allerdings. Für hochgestellte Alte und Häuptlinge kannten die Gês die Ankeraxt, die das Symbol ihrer Macht ausdrückte. Es ist ein kurzschäftiges, charakeristisch geformtes Steinbeil, welches sich über die Apinayé im Gebiet verbreitet hat.

Bei allen Stämmen herrscht ein Häuptling. Seine Macht wird aber durch einen Rat eingeschränkt. Es kommen auch Einrichtungen von Altersklassen vor. Man kann durch Aufnahmeriten in die nächst höhere Stufe gelangen. Die Knaben schlafen oft nach der Aufnahme in die Gemeinschaft im Männerhaus wie zum Beispiel bei den Cayapó oder als Halbwüchsige in einem Junggesellenhaus so wie bei den Sherente. Bei den Gês sind Zeremonialfreundschaften zwischen Mitgliedern verschiedener Stammesteile typisch, bei denen genaue gegenseitige Pflichten vorgeschrieben sind - bei den Canella lebenslang. Ferner besteht auch eine lebenslängliche Mitgliedschaft in Bünden mit mythologischer Gebundenheit. In den Bünden spielen die Sonne, Mond, Königsgeier und ein legendärer Hirsch eine wesentliche Rolle. Eine weitere seltsame Zeremonie ist die des Tränengrusses. Er wird angewandt, wenn ein Stammesmitglied nach langer Abwesenheit zurückkehrt, um die übernatürlichen Kräfte zu versöhnen. Diese Zeremonie ist besonders bei den Sherente, den Timbirá, den Apinayé und Cayapó ausgebildet. Bei den Nordwest- und Zentral-Gês war auch eine e igentümliche Sportart ausgebildet. Und zwar das Wettrennen mit einem bis zu zwei Zentner schweren etwa einem meterlangen auf der Schulter getragenen Baumstamm. Dieser Sport diente zur Erhöhung des Prestiges innerhalb einer Gemeinschaft. Ballspiele mit Gummibällen wurden ausgetragen und dienten ebenfalls der Aufnahme in die Gemeinschaft.

Zu den "Macro-Gês" zugerechnet, welche früher als "Ost-Gês" bezeichnet wurden, gehören die Botocudo oder Aymoré. Sie sprechen eine isolierte Sprache ohne südamerikanischen Bezug. Sie sind vom Innern des Landes an die Küste gezogen, wo heute noch Reste von ihnen leben. Nachrichten über sie gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. In ihrer Kultur stehen sie nahe der Gês, sind aber kein einheitlicher Stamm, sondern setzen sich aus einer Gruppe von Stämmem zusammen. Sie sind nomadische Jäger und verwenden gewaltige Bögen. Sie bauen keine Feldfrüchte an, besitzen keine Boote und die Handwerke Weberei und Töpferei gehen sie auch nicht nach. Ihr Name ist aus dem portugiesischen "botoque" = Faßspund abgeleitet und bezieht sich auf die in Ohrläppchen und Unterlippe von ihnen getragenen Holzklötzchen. Sie lebten in Gruppen von zweihundert Menschen und wurden von einem durch "übernatürliche Kräfte" Ausgezeichneten angeführt. Seine Hauptfunktionen waren die Führung im Krieg, Verteilung der Jagdbeute und Verhinderung von Streitigkeiten. In Zeremonien wurden durch Schamanen Schutzgeister herbeigerufen. Der Herr der Geister war Vater Weißkopf, Eigentümer von Gesängen und der Herr des Regens und der Stürme.

Südwestlich der Gês im zentralen Mato Grosso-Gebiet zwischen Rio Xingu und Rio Araguaya leben die Bororó, die eine eigene Sprachfamilie bilden, denen noch die Otuké, die westlich der Gês wohnen, angehören. Ihre Kultur gleicht der der Gês. Bei der Jagd - Zeit und Ort bestimmen die Medizinmänner - werden Peccaries (Nabelschweine) und Tapire hauptsächlich erlegt. Bei der Suche nach Wurzeln, Samen und Palmnüssen verwenden die Frauen den Grabstock. Die Männer wohnen in einem großen viereckigen Haus, welches von den einfacheren Familienhütten kreisförmig umgeben ist. Der Stamm ist in Clans eingeteilt.
Bei den Bororó gibt es einen Kult der Totengeister, die in flötenähnlichen Blasinstrumenten leben sollen und von ihnen verehrt werden. Die Mythologie beherrschen die Zwillinge Bakororo und Itubori, welche die Söhne eines Jaguars und einer Indianerin sind, zu denen die Toten gehen. Neben ihnen werden Sonne und Mond verehrt, die mit clownähnlichen Zügen ausgestattet sind.

Fast ausgestorben sind die Guató. Sie leben in den Sumpfgebieten des oberen Paraguay-Flusses und werden auch als Kanuindianer bezeichnet. Sie wohnen unmittelbar südlich der Bororó und sind Nachbarn der Gês. Für die Jagd verwenden sie zwei Meter lange Bögen, zu denen sechserlei verschiedene Pfeile gehören. Kaimane und die elf Meter lange Anaconda werden mit Speeren erlegt. In den Sümpfen errichten sie künstliche Erdhügel, die mit nützlichen Wildpflanzen bepflanzt werden und zur Nahrung dienen, um sich ferner vor Überschwemmungen zu schützen. Die Guató verstehen es auch Moskitonetze herzustellen.

In den Wäldern von Ost-Paraguay südlich der Gês leben die Guayaki. Sie wohnen in Gruppen bis zu zwanzig Personen und sind Jäger und Sammler. Sie erlegen aber auch mit dem Pfeil und Bogen Fische. Jaguare und Tapire werden in Fallen gefangen. Als Hauptnahrung dient ihnen wilder Honig und Käferlarven. Sie besitzen keine Behausungen, sondern verkriegen sich im Dickicht und versperren den Zugang zu ihrem Lager unzugämglich. Sie besitzen auch kaum Kultur, was in Amerika nur selten ist.